Gestern konnte ich endlich Civil War, den neuen Film von Alex Garland, im Kino sehen. Ein Abend, auf den ich schon seit Wochen, vielleicht Monaten, mit großer Spannung hingefiebert hatte. Zum einen lag das an Garland selbst. Egal, ob mit Mitte zwanzig als Romanautor von The Beach, als Drehbuchautor von 28 Days Later und dem noch immer sträflich vernachlässigten Sunshine in den 2000er-Jahren oder – sicher seine bekannteste Rolle – als Regisseur der spannendsten Science-Fiction-Filme der letzten knapp zehn Jahre, Garland ist für mich einer der faszinierendsten Künstler dieses Jahrtausends. Seinem letztes Werk, der in seiner Inszenierung künstlerisch-verkopfte, aber doch eigentlich recht plump-feministische Horrorfilm Men, konnte ich zwar erstmals nicht allzu viel abgewinnen, doch alles, was davor kam, liebe ich nach wie vor. Die schimmrig-kryptische Bio-Science-Fiction von Annihilation, Ex Machina, der gerade neun Jahre alt geworden ist, dessen Fragen nach Menschlichkeit aber mit jedem technischen Durchbruch interessanter werden, und vor allem sein stilistisches, konzeptionelles und philosophisches Magnum Opus, die noch immer viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommende Mini-Serie DEVS.
Der andere Grund für meine – ich würde (nach Men) nicht sagen unglaublich hohe, aber sehr interessierte Erwartungshaltung – lag in der Art von Diskurs, den Civil War vor allem in der anglo-amerikanischen Filmsphäre in den letzten Wochen produziert hat. Dort geht es vor allem um die These (die in der Regel als Vorwurf gemeint ist), Garlands neuer Film sei zu apolitisch. Er interessiere sich nicht wirklich für die politische, historische und ethische Dimension seines Konflikts. Das stimmt auch: Im Grunde weiß man am Ende kaum, wer hier aus welchen Gründen gegen wen in den Bürgerkrieg zieht. Es ist jedoch keine Schwäche, sondern die größte Stärke des Films. Was Menschen, die viel auf Twitter rumhängen, sich aber kaum für Kunst interessieren, erwartet hatten, war wohl ungefähr so etwas: Wegen irgendwas mit Trump folgte irgendwas mit Faschismus, worauf irgendwas mit Bürgerkrieg folgte. Kurz gesagt, erhoffte man sich also einen Film, der irgendwie dystopisch wäre, aber nun auch wieder nicht wirklich Science Fiction, sondern eher unsere Gegenwart, aber eben noch um ein paar Lautstärkestufen nach oben gedreht. Der also vor irgendwas mahnt und warnt – am besten vor irgendetwas Rechtem oder Trump oder sonst was. Oder halt irgendeine Botschaft transportiert, der jeder, der noch nicht vollends irre geworden und komplett dem neuen militaristischen Gegenwartshype verfallen ist, bedenkenlos zustimmen kann. Zum Beispiel so etwas wie: Krieg. Der ist wirklich grausam und schlecht. Oder? Hauptsache etwas, mit dem man selbst natürlich absolut gar nichts zu tun hat, sodass man keinesfalls anfangen muss, sich nun auch noch kritisch mit sich selbst und seiner eigenen Position zu beschäftigen. Was also eigentlich heißt: Man wollte ein Kunstwerk über das irgendjemand, der Journalismus studiert hat, schreiben kann: ein wichtiger Film.
Genau dieser Film ist Civil War nun glücklicherweise nicht geworden. Aber um fair zu bleiben, muss man auch offenlegen, dass eine derartig triste, fantasielose Erwartungshaltung nicht nur aus den Köpfen von Menschen, die Twittern für politische Praxis halten, entsprungen ist, sondern im Rahmen der Promotion des Films selbst genährt wurde. Da ist zum Beispiel Garland selbst, der in mehreren Interviews im Vorfeld des Kinostarts nicht müde wurde zu betonen, der Bürgerkrieg im Film sei „nur die Fortsetzung einer realen Situation“. Und diese Situation sei die „Polarisierung und das Fehlen begrenzender Kräfte für die Polarisierung“. Auch die verschiedenen Trailer legten im Tonfall schon von Anfang an eine ähnliche Lesart nahe, indem einer der prominesten Shots eine Szene war, in dem ein rassistischer von Jesse Plemons gespielter Milizionär die Frage nach dem „richtigen“ Amerika stellt. Diese Szene kann jedoch keineswegs sinnbildlich für die thematische Ausrichtung von Civil War stehen. Im Gegenteil, sie ist in ihrer politischen Explizitheit ein Fremdkörper in einem Film, der sich den Rest der Laufzeit über völlig anderen Fragen widmet.
Dass es nicht einfach um ein stumpfes Mahnen und Warnen vor einer sich fraglos in immer düsterere Gewänder kleidenden Zukunft geht, wird bereits in den ersten Sekunden des Films klar. Da sehen wir Nick Offermann als US-Präsident eine Rede üben und später halten, aus der wir folgende Informationen entnehmen: Die Separatisten bestehen aus Texas und Kalifornien, eine Allianz also, die gemessen an der realen politischen Situation in den USA kaum mehr „Das hier ist nur Fiktion“ schreien könnte. Die interessante Frage, die sich mir zunächst gestellt hat, war: Warum ausgerechnet diese Konstellation? Aus dem Lager der oben beschriebenen Kritikerinnen und Kritiker, die dem Film aus einer bestimmten Erwartungshaltung heraus seine angeblich unpolitische Herangehensweise vorhalten, fällt die Erklärung natürlich denkbar einfach aus: Alex Garland oder vielleicht noch mehr das hinter dem Film stehende Studio A24 seien einfach feige. „Das große Schwänzeeinziehen“ fiel das Fazit einer Letterboxd-Kritik aus. Und die beobachtete Feigheit rühre vermutlich daher, dass A24 mit ihrem bislang teuersten Projekt „keine Risiken“ eingehen wollte. Ein apolitischer Film also, der es jedem recht machen wolle – und eben auch den kaufkräftigen Rechten. Vielleicht mag da sogar etwas dran sein, für mich ist aber auch klar, dass es sich dabei um die denkbar uninteressanteste Lesart handelt. Außerdem gibt es dieses Werk bereits, und es heißt sogar fast genauso wie Garlands Film (die Titel sind absolut austauschbar).
American War, Civil War, Image War
2017, also kurz nach der Trump-Wahl und damit wohl unter der Drohkulisse dessen Wahlkampfs geschrieben, erschien der Roman American War von dem ägyptisch-kanadischen, in den USA lebenden Autoren Omar El Akkad. Das Buch war eines der meistbesprochenen Debüts des Jahres und wurde noch im gleichen Jahr in so ziemlich alle für den Buchhandel relevanten Sprachen übersetzt. Was ich sagen will: Es ist ein Buch, von dem man durchaus schon mal gehört haben könnte, weshalb es mich verwundert, dass es bisher überhaupt nicht als Referenzwerk in die aktuellen Debatten um Civil War eingebracht wird. American War ist im Grunde genau der Text, dessen Verfilmung die aktuellen kritischen Stimmen wohl gerne von Alex Garland gesehen hätten. Die Handlung des Buchs findet in einem Amerika statt, in dem im Jahr 2075 ein Bürgerkrieg ausbricht. Die republikanisch geprägten Südstaaten erklären ihre Unabhängigkeit und ziehen in den Krieg, der Anlass für den Bruch ist die ökologische Frage. Nachdem weite Landstriche der USA entweder durch Dürren unbewohnbar oder inzwischen gleich ganz unterhalb des angestiegenen Meeresspiegels liegen, wird ein allgemeines Verbot fossiler Brennstoffe erlassen, es folgen: Proteste, ein Präsident wird irgendwo in Mississippi erschossen, es folgt: Krieg.
American War ist ein Buch, an das ich noch oft zurückdenke, seit ich es vor einiger Zeit wegen der vagen thematischen Nähe zu Civil War gelesen habe. Das liegt aber nicht daran, dass El Akkads Debüt eine einfache Extrapolation unserer gegenwärtigen Probleme ist, sondern eher in der Umkehrung, die es durchführt. Denn eigentlich formuliert El Akkad in seinem Roman in einer grausam-realistischen Sprache eine fundamentale Kritik an der US-amerikanischen Außenpolitik der letzten 80 Jahre, insbesondere im Nahen Osten. Nur sind es diesmal Amerikaner, genau genommen: Republikanische Amerikaner aus dem Süden, die hier von anonymen Drohnen zerfleischt werden, in menschenunwürdigen Flüchtlingslagern zusammengepfercht dahinvegetieren und am Ende in geheimen Foltergefängnissen verenden. (Währenddessen ist das friedliche, prosperierende „Zentrum der Welt“ in American War übrigens Bouazizi, der befriedete Nahe Osten, dessen Länder sich zu einem großen Staat vereinigt haben. Und auch in Europa sieht es gut aus – schön wäre es.) Trotz dieser thematischen Tiefe bietet American War oberflächlich betrachtet das, was man sich von Civil War erhofft hätte: Kontext, einfach zu verstehende realpolitische Querverbindungen zur Gegenwart, etwas Kulturkampf, einen Schuss Mahnung, Eimer voller Warnung.
Krieg versus Kriegsbilder
Garlands Film bietet davon nichts. Die oben beschriebenen Informationshäppchen zur Fraktionalisierung – Kalifornien, Texas, irgendwas mit Florida – sind so ziemlich alles an Kontext, das wir erhalten. Was aber, wenn diese Leerstellen nicht eben ein Makel sind, sondern genau das, was Civil War interessant macht? Anders als in American War stehen nicht Soldaten, Milizionäre oder Geflüchtete im Fokus, sondern vier Kriegsjournalist*innen. Das ist nicht einfach nur ein weiterer Kniff, um sich gegen politische Kritik zu immunisieren, sondern ein fundamentaler Hinweis auf eine Lesart, die sich für mich als die bisher interessanteste für Garlands neues Werk darstellt: Civil War ist nicht ein Film über Krieg, sondern ist viel mehr an der Frage nach den Bildern vom Krieg interessiert. Denn diese Bilder, produziert von Journalist*innen, die nach ihren ganz eigenen Kriterien fotografieren und – vielleicht noch wichtiger – weglassen, prägen in weiten Teilen der westlichen Zuschauerschaft, die bisher keinen Krieg aus erster Hand erleben musste, und damit natürlich auch bei mir selbst, das Bild, das wir vom Krieg haben. Und mehr noch als die journalistische Rezeption, ist es die Verarbeitung von Kriegsthemen in der Kunst, speziell der audiovisuellen Kunst, also Filmen und Games, die Kriegsbebilderung im 21. Jahrhundert kennzeichnet.
Denken wir an den Vietnam-Krieg, fällt uns vielleicht als erstes das bekannte Foto vom „Napalm Girl“ ein. Beim D-Day? Vielleicht Der Soldat James Ryan. Erster Weltkrieg? Die erste Verfilmung von Im Westen nichts Neues oder doch die neue deutsche aus dem vorletzten Jahr. Als Letterboxd-Nutzer ist es vielleicht der Schrecken von Elem Klimovs Come and See, der uns als erstes vor dem geistigen Auge erscheint. Ein Bild, an das wir vermutlich nicht denken, ist das Foto eines verbrannten irakischen Mannes, aufgenommen von Kenneth Jarecke während des Golfkrieges in der Hoffnung, es würde die naive amerikanische Rezeption des Krieges als „Video-Game War“, geprägt durch Bilder von Nachtsichtgeräten und Präzisionsbombardements, aufbrechen. Die Presse entschied sich aber dagegen, das Bild zu veröffentlichen, und die Wirkung blieb somit aus. Was diese Beispiele aufzeigen, so unterschiedlich sie hinsichtlich ihrer moralischen, künstlerischen und dokumentarischen Qualitäten auch sein mögen, ist dies: All diese Bilder sind nicht „der Krieg“, sie sind nur Auszüge, enthalten Leerstellen, werden nach bestimmten Parametern aufgenommen und verbreitet, können manipulieren, emotionalisieren. Dass Civil War nun nicht als ein weiteres Bild in dieser Reihe von Kriegsbildern zu verstehen ist, wurde mir in einer Szene klar, die sich nach etwa einer 45 Minuten innerhalb des Films entfaltet.
Bis dahin sieht man schon allerlei Motive aus der klassischen Ikonografie der Krisenberichterstattung und -kunst: Eine Selbstmordattentäterin, die mit einer Fahne in der Hand in eine Menschenmenge rennt, Geschosse, die den Nachthimmel erhellen, Soldaten, die bei lebendigem Leibe verbrennen, und nun eben eine bewaffnete Soldatengruppe, die sich mit Maschinengewehren im Anschlag ein Treppenhaus empor tastet. Szenen, die Grausamkeit mit Hollywood-Suspense kombinieren und, die moralischen Implikationen mal beiseitegelassen, auch tatsächlich ziemlich spannend sind. Oben angekommen, erschießen sie schließlich einen verwundeten, kapitulierenden Soldaten der sogenannten Gegenseite. So „zynisch-realistisch“, so normal. Dann aber entscheidet sich Garland für einen inszenatorischen Bruch. Nachdem die Spannung abklingt, ertönen viel zu laut und unpassend die ersten gescratchten Takte von De La Souls 90s-Rap-Klassiker „Say No Go“. In Kontrast zu dem „Realismus“ der Szene zuvor, zeigt Garland uns jetzt eine Montage, die zwischen lässig feiernden Soldaten und der Exekutionen von weiteren Soldaten in Zeitlupe hin- und herschaltet. Es ist ein so starker und unpassender Kontrast zwischen den beiden Sequenzen, dass der Bruch unweigerlich auf die Künstlichkeit, die Stilisiertheit der gezeigten Bilder hinweist und den Zuschauer aus seiner Pseudo-Immersion herausreißt.
„Das hier sind nur Bilder, die ich dir in einem Kino präsentiere, ich suche die Bilder aus, die hier gezeigt werden, entscheide wie alles geschnitten wird, unterlege das mit der Musik, die genau die Emotionen hervorruft, von denen ich möchte, dass du sie hast“, scheint Garlands Film zu rufen. „Jetzt sollst du gespannt diesen Soldaten durch das Treppenhaus folgen, vielleicht etwas Angst haben, jetzt, zwei Minuten später, fühlst du die Lässigkeit einer Szene, wie du sie vielleicht aus stilisierten Vietnamskriegsdarstellungen wie in Apocalypse Now kennst. Und nichts davon wird real sein, alles nur Kunst.“ Civil War zeigt nicht Bilder des Krieges, er zeigt Variationen der Bilder, die wir mit Krieg verbinden, und kontrastiert sie, um zu sagen: Authentisch ist nichts hiervon.
In dieser Szene hat Civil War für mich geklickt. Etwas später dann, folgt wieder ein ähnlicher Bruch. Der aus dem Trailer bekannte, von Jesse Plemons gespielte Soldat erschießt da in einer spannungsgeladenen, gritty-realistischen Szene mehrere Journalisten, einer von ihnen, er fährt den Fluchtwagen, wird auf der Flucht angeschossen. Cut. Das Auto fährt durch brennende Waldlandschaften, Sturgill Simpsons moderner Country tönt, psychedelische Bilder. Nichts mehr übrig von dem Realismus aus der Szene zuvor. Ob diese Brüche von Alex Garland beabsichtigt sind, ist unklar, aber sie sind da. Und führen dadurch eine Reflexionsebene in den Film ein, durch die dieser mehr zu einer Studie der Bilderwelten des Krieges wird als ein Kriegsfilm. Die Bilder selbst sind sicher die un-Garlandigsten, die wir von dem Regisseur bisher gesehen haben. Doch auch wenn das alles hier kaum etwas mit den durchgestylten, ruhigen, manchmal fast spirituellen Bildern von Ex Machina, Devs oder Annihilation zu tun hat, erinnert mich das alles genauso wenig an den grimmigen Realismus moderner Kriegsfilme wie Im Westen nichts Neues. Für mich ist es ein völlig anderes Garland-Werk, das der engste inszenatorische Verwandte von Civil War ist: Danny Boyles mittlerweile 22 Jahre alter Zombie-Horrorfilm 28 Days Later, für den Alex Garland das Drehbuch geschrieben hat.
Von 28 Days Later zu Civil War
Beiden Filmen ist ihre apokalyptische Grundstimmung eigen, nur dass wir in Civil War kurz vor dem Untergang stehen und ihn in 28 Days Later bereits durchschritten haben. Aufnahmen von verlassenen Fahrzeugen auf Autobahnen, verwahrlosende Städte, die von der Kamera geisterhaft am Horizont eingefangen werden, die wackligen Kameraaufnahmen sobald Bewegung in die Massen (von Zombies oder eben Bürgerkriegsbeteiligten) kommt, das ist die Ikonografie beider Filme. Das bekannteste musikalische Motiv aus Boyles melancholischem, verlassenem London ist das „Sad Mafioso“-Movement aus Godspeed You! Black Emperors „East Hastings“, ein apokalyptisches Klagelied auf eine längst untergegangene Zivilisation. Regisseur Danny Boyle erklärte damals in einem Interview, er habe immer einen bestimmten Song oder Sound im Kopf, zu dem er seine Filme dreht. Zu Trainspotting sei das der fluoreszierende Techno von Underworld gewesen und bei 28 Days Later eben die apokalyptischen Klanglandschaften des kanadischen Musiker*innenkollektivs. Civil War wirkt so, als hätte sich Alex Garland diese Methode zu eigen gemacht und sich die der Hölle näher als dem Leben stehenden düster-hypnotischen Sounds des New Yorker Synth-Punk-Duos Suicide als Taktgeber für seine sich noch in der Entfaltung begriffene Apokalypse zu eigen gemacht. Wenn die vier Journalisten New York verlassen und auf den verlassenen Highway einbiegen, hätte diese Szene wohl eins zu eins aus 28 Days Later stammen können, würde da das Godspeed You! Black Emperor-inspirierte Post-Rock-Theme von John Murphy laufen und nicht, wie im Film der Fall, die todestripartigen stampfenden Beats von Suicides „Rocket USA“.
Es sind aber nicht nur einzelne Bilder, die an Garlands Drehbuchdebüt erinnern, es ist der gesamte Aufbau des Films, der in beiden Werken eine Art apokalyptischer Roadtrip durch untergehende Welten ist. Bewaffnete Milizionäre, die Tankstellen verteidigen und Plünderer aufhängen, verlassene Häuser, die von Scharfschützen verteidigt werden und am Ende berauschte Protagonist*innen, die wie unter einer Speed-induzierten Hypnose, durch die Flure herrschaftlicher Häuser schlafwandeln. Das sind alles Szenerien, die eigentlich austauschbar in beiden Filmen vorkommen könnten, ohne deplatziert zu wirken. Und in beiden Filmen sind es genau die Menschen, die im Angesicht des Untergangs jedes Vertrauen ihre Mitmenschen verloren haben, von denen die größte Gefahr ausgeht. Während es aber in der Post-Apokalypse von 28 Days Later völlig klar ist, dass die Frage, die gestellt wird, keine weltanschauliche ist, sondern nur noch eine des Überlebens, wird genau das in Civil War zum Kritikpunkt.
In seinem Klassiker der modernen Konfliktforschung The Logic of Violence in Civil Wars legt Stathis Kalyvas allerdings dar, dass genau diese bei Civil War kritisierte Abwesenheit von politisch-weltanschaulich motivierten Konfliktlinien vermutlich ziemlich nahe an der Realität ist. Er argumentiert, dass die meisten Menschen das Ausmaß, in dem Muster von Gewalt in Bürgerkriegen von Ideologie oder ausufernden Emotionen getrieben werden, überschätzen. Stattdessen behauptet Kalyvas, dass individuelle Entscheidungen oft auf rationalen Selbstinteressen beruhen – beginnend mit dem Überleben. Garlands Film scheint im Geiste dieser These gedreht zu sein. In einer Szene eröffnet ein Scharfschütze das Feuer auf das Auto der Reporter und zwingt sie, sich neben zwei Soldaten zu verschanzen, die er ebenfalls angegriffen hat. Als die Reporter die Soldaten fragen, auf welcher Seite sich alle befinden, belächeln sie das – und erklären, dass er versucht, sie zu töten, und das ist alles, was zählt.
Obwohl Civil War für mich, wie oben versucht zu ergründen, ein Film ist, der sich weniger für eine „realistische“ Darstellung der politischen Konflikte unserer Gegenwart interessiert, sondern sich vielmehr mit den Bildern auseinandersetzt, die westliche Gesellschaften von diesen Konflikten haben, hat er am Ende gerade in seinem Aussparen von weltanschaulichen Polarisationspunkten eine Nähe zur Realität, die ihm als bloßes Vehikel aller möglichen politischen Gegenwartsdiskurse ironischerweise abhandengekommen wäre.
„Civil War has little to say about America” lautet der Titel des (sehr guten) Textes zum Film von Zack Beauchamp, erschienen bei Vox. Ja, das stimmt. Und es scheint mir, dass genau dieser Umstand bei der Rezeption des Films, besonders in den USA, dem größten kollektiven Narzissten der Weltbühne, bloß als Anlass zu Kritik genommen wird, anstatt genau diesen Umstand als Inspiration zu sehen, um endlich mal wieder über sich selbst hinauszudenken, vielleicht gar universell zu denken.
Der vollständige Titel des Vox-Textes lautet übrigens „Civil War has little to say about America — but a lot to say about war”. And that’s that.