Vor einiger Zeit, genauer gesagt am Jahresende 2022, einem Zeitpunkt in meinem Leben, an dem es mir wirklich nicht gut ging, schrieb ich bereits über die Frage, wie man auch als Erwachsener auf die 30 zugehender Mensch – also weniger Freizeit durch Arbeit, weniger ausgehbereite, neugierige Freund*innen und so weiter – in dieser sich unaufhaltsam weiter beschleunigenden Gesellschaft sein von Leidenschaft und Neugier geprägtes Verhältnis zur Gegenwartskultur behalten könnte. Das mag nach aus unterschiedlichen Gründen für den ein oder anderen auch weiterhin nach einem albernen Luxusproblem klingen, aber mir ist es ernst damit. Kultur und Kunst sind für viele sicher nicht mehr als ein kleiner Zwischenraumfüller inmitten eines Alltags aus Arbeit, Gym, Urlaubsplanung (weil Alltag Mist ist) und vielleicht etwas Familie. Ein paar Stunden Netflix nach der Arbeit, also Ablenkung, also Betäubung. Für mich war und ist das alles – Popmusik, Serien, Filme, Literatur, Blogs, Newsletter, Zines, Konzerte und so weiter – aber ein zentraler Zugang zu der Zeit, in der ich lebe, eine emotionale Verbindung zu einer Gesellschaft, aus der ich mich mehr und mehr zurückziehe, und nicht zuletzt ein wohlbenötigter Ausbruch aus diesem an seinem eigenen Einsturz arbeitenden Gegenwartsgefängnis irgendwo zwischen chronischer Erschöpfung und chronischer Langeweile.
Insbesondere mein Verhältnis zur Popmusik – sicher trotz des Kinos, trotz der Science Fiction und all den fantastischen Serien meine primäre Leidenschaft und das Territorium auf der Popkulturlandkarte, in dem ich mich am besten auskenne – hatte sich in den 20er-Jahren stark verändert und in eine Richtung entwickelt, die auf ein paar Eckpunkte herunterzubrechen sind: weniger bewusstes Musikhören, weniger Konzerte, mehr algorithmisiertes Streaming, weniger kuratiertes Empfehlungshören, mehr Playlists, weniger Alben, mehr Musik, die man hören sollte, weniger Musik, die ich hören wollte. Über die vielen Gründe für diese Veränderung könnte man lange nachdenken und sicher einiges daraus ziehen. Es würde darum gehen, wie Corona, die Art, in der man neuer Musik begegnet, nachhaltig verändert hat, um die Wege, in denen die Plattformarchitektur von Streaminganbietern nicht nur die Musiklandschaft sondern auch die Hörgewohnheiten verändert hat, um TikTok und am Ende sicher auch um den allgemeinen Verfall meiner eigenen Aufmerksamkeitsspannte. Aber diese Texte wurden bereits geschrieben – von anderen und auch von mir selbst. An dieser Stelle möchte ich auf etwas anderes hinaus: Gegengifte.
Der Versuch einer Rückeroberung meiner wichtigsten Leidenschaft soll einer werden, der auf das altbackenste aller Mittel setzt: Schreiben. An diesem Ort, über das, was mich musikalisch zurzeit beschäftigt, ob neue oder wiederentdeckte Alben, Musikgossip, der mich interessiert, kurze Konzertberichte oder gelesene Musikbücher. Hauptsache ich bin emotional und kognitiv involviert. Am wichtigsten aber: Regelmäßigkeit. Ein Musiktagebuch möchte ich das nicht nennen, da ich beim Schreiben stets versuche, die Dinge, die mich beschäftigen – Musik, Filme, Pop, Soziologie – so aufzubereiten, dass nicht nur meine eigenen Befindlichkeiten im Mittelpunkt stehen, sondern auch die Kunst an sich. Natürlich liegt das leicht quer zu dem sehr stark auf meine Motivationen zurückgreifenden Einstieg in diesen Text. Außerdem kann man Befindlichkeit und Kunstwerk sowieso nicht klar trennen, wenn es um so etwas Subjektives geht wie die emotionale, eruptive Wirkung eines großartigen Popsongs. Aber am Ende soll es eben um diesen Song gehen und nicht um mich. Ebenso wenig wie ein Tagebuch möchte ich dieses Format aber Newsletter nennen. Obwohl Newsletter wie Chasing Fridays von Eli Enis, einem meiner liebsten Musikjournalisten, meine Hauptinspirationsquelle sind, möchte ich hier nicht von einem sprechen. Das liegt einfach daran, dass das Wort Newsletter, auch wenn es natürlich ein Meme ist, dass 99% von ihnen sowieso ungelesen in die Datenmüllwolke des eigenen Maileingangs inhaliert werden, für mich trotzdem eine starke Verbindlichkeit evoziert. Und ich weiß, dass ich diese Verbindlichkeit zwischen Arbeitshektik und Erschöpfungsdepression sowieso nicht einhalten könnte oder sie als lästige Arbeit empfinden würde, also dem Gegenteil von dem, um das es mir hier gehen soll: Freude. Passion. Schönheit.
Es soll einfach ein unregelmäßig regelmäßiger Versuch sein, meine Gedanken zu meiner größten Leidenschaft so zu strukturieren, dass sie auch für andere interessant sein könnten. Ein Versuch, weniger nur Halbwahrgenommenes zu konsumieren, um es doch gleich wieder zu vergessen, und mehr von dem zu behalten, das mich wirklich berührt. Und ein solcher Versuch benötigt einen Namen. Also: Willkommen zum ersten Versuch von Wasting the Weekends, benannt nach dem Closer des vor kurzem erschienenen neuen Albums Life on the Lawn der aus Philadelphia stammenden und auch so klingenden Slacker-Rock-Band A Country Western. Es ist ein wundervolles kleines Album, und mir erschien es passend für dieses Projekt, einen Namen zu wählen, der etwas mit dem zu tun hat, das mich in diesem Moment musikalisch beschäftigt und erfüllt.
Mdou Moctar – Funeral for Justice
Für sich selbst als progressiv (im künstlerischen Sinne) wähnende Musikhörer*innen gehört es schon lange zum guten Ton, mit unterschiedlichsten Begründungsstrategien zu behaupten, dass Gitarrenmusik im Grunde „tot“ sei. Oder vielmehr: untot. Denn es gibt sie ja noch. Es geht mehr darum, darauf hinzuweisen, dass in der (Indie-)Rockmusik seit Jahrzehnten schon Innovationsstau herrscht und dass das, was heute mit Gitarren in westlichen Männerhänden passiert, meistens so klingt, als wäre man wahlweise wieder zurück in die 2000er-Jahre, die 90er oder gleich ganz zurück zu Velvet Underground gereist. Selbst wenn man in westlichen Soundsphären verhaftet bleibt, muss man bei Alben wie dem aktuell in der Musikpresse gehypten Underground-Hypnagogic-Pop-Meisterwerk Diamond Jubilee von Cindy Lee nur etwas genauer hinhören, um diesen Vorwurf zu entkräften. Völlig albern wird es aber, wenn man den euro-/amizentrischen Hörhorizont erst einmal verlässt. Zu behaupten, dass in der Popmusik nichts Neues passiert, zeigt meist nur, dass man als Spotify-Algorithmus gesteuerter Musikhörer entweder nicht tief genug gegraben hat oder – wie im Falle des neuen Mdou Moctar-Albums – nicht bereit ist, auch mal zur geografischen Seite zu gucken.
Mahamadou Souleymane, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Mdou Moctar, ist ein nigrischer Musiker und vielleicht der coolste und innovativste Gitarrist, den ich in den letzten Jahren kennengelernt habe. Das fünfte Album nach ihm benannten Tuareg Blues-Projekts, Afrique Victime, was so etwas wie der internationale Durchbruch und wurde u.a. bei Pitchfork mit dem Best New Music-Prädikat versehen. Damals ist das alles aber – Corona, Depressed-sein, das Übliche – an mir vorbeigerauscht, und so ist es der in der letzten Woche erschienene Nachfolger Funeral for Justice, der mich dem Projekt etwas später als der Rest hat verfallen lassen. Schon der Titeltrack-Opener macht klar, wohin die Reise geht: Es dauert exakt zehn Sekunden, bis Mdou Moctar seine Gitarre an einen Klimax in Form eines unwiderstehlichen, innovativen Riffs geführt hat, den die meisten anderen Rockbands auf Albumlänge vielleicht ein-, zweimal, meist aber gar nicht erreichen. Der schlagende Puls wird auf Funeral for Justice in den ersten Takten auf Anschlag gedreht und verweilt dort fast über die komplette Distanz, bevor er erst mit dem letzten Track „Modern Slaves“ ein wenig zur Ruhe kommen darf. Trotz der begnadeten Gitarrenarbeit ordnet sich Mdou Moctar ohne zu murren in die Rhythmusmaschine seiner Begleitmusiker ein. Der Groove und der Rhythmus sind wichtiger als das Solo und die Melodie, ohne zu sagen, dass letztere sich hier nicht haufenweise durch die Gehörgänge und direkt in die Gliedmaßen fräsen. Denn genau das tun sie.
Funeral for Justice ist ein explizit politisches Album, dessen progressive Energie aber nicht aus den gesungenen Texten stammt, wie es bei viel zu viel westlicher „Protestmusik“ passiert, die sich wahlweise eher in lahmen Sonntagsdemonstrationsgesängen oder Soziologieseminarexkursen verrennt. Die politische Energie ist hier die Energie der Musik selbst, des Sounds, des Kollektivs. Obwohl Mdou Moctar auf Touareg singt und die meisten westlichen Hörer*innen somit nicht wortwörtlich verstehen können, was da gesagt wird, wird man dennoch verstehen. Fühlen. Kunst handelt nicht davon, wie die Welt ist, sondern vermittelt Haltungen zu ihr. Und die Haltung, die die Gitarrensounds von Mdou Moctar für mich vermittelt, ist eine, die mich daran glauben lässt, dass wir diesen Menschen vernutzenden, unterdrückenden, durchsortierenden und ausschließenden Drecksladen, den wir Gegenwart nennen, vielleicht doch noch abfackeln und durch etwas Schöneres ersetzen können.
Hovvdy – Hovvdy
Wenn Mdou Moctar sowas wie mein musikalischer Upper in der letzten Woche war, liefern Hovvdy den ebenso dringend benötigten Downersound, um zwischendurch wieder runterzukommen und durchatmen zu können. Wobei Downer hier eindeutig nicht im Sinne des gefühlsmäßigen Down-Seins zu verstehen ist, sondern als down sein im Drogenjargon: Songs, die Komfort bieten und sich wie eine warme Decke um einen legen, die eine beruhigende Wirkung erzeugen und sich anfühlen, als würden sie den kontinuierlich überfordernden Nachrichtenstrom zwischen dem Gehirn und dem zentralen Nervensystem verlangsamen. „We’ll do a whole lot of talking/Don’t a lot have to happen,“ wird auf dem nur von langsam dahinschwelgenden Akustikgitarren untermalten Song „Angel“ vom aktuellen Album gesungen – und man fühlt es.
Die Musik des aus Charlie Martin und Will Taylor bestehenden Bedroom-Pop-Duos aus Austin, Texas, begleitet mich mittlerweile schon seit vielen Jahren. Während sich die musikalische Karriere der beiden für die Mehrheit der Kritikerstimmen in einer kontinuierlichen Aufwärtsbewegung befindet, also jedes Album besser war als der Vorgänger, sind es die beiden ersten Alben der Band, Taster und Cranberry, zu denen ich am häufigsten zurückkehre. Beide zeichnen sich durch einen Duster-inspirierten, Lo-Fi-produzierten und irgendwo zwischen Slowcore, Slacker Rock und Bedroom Pop angesiedelten Sound aus. Anders als die kühlen, weltraumhaften Klanglandschaften von Duster, klangen Hovvdy, bei aller Melancholie, die ihre Songs durchzieht, aber schon immer warm und tröstlich. Es sind kleine Alben, die wirken, als würden zwei gute Freunde einfach bei sich im Zimmer rumhängen und zusammen entspannt vor sich hin musizieren, weil es eben das ist, was man mit Freunden an ziellos dahinwabernden Nachmittagen gemeinsam tut. Die Nachfolgewerke waren dann ebenso klein und sympathisch, klangen für mich aber immer zu viel nach professionellem Studio, wodurch sie einen Teil ihrer sympathischen Klangessenz – das Grobkörnige, ins Nichts verlaufende, dahin Improvisierte – einbüßten.
Das vor einigen Wochen erschienene mittlerweile fünfte Album der Band, das praktischerweise einfach Hovvdy heißt, bildet da keine Ausnahme und versöhnt mich auf eine eigentümliche Weise dennoch wieder mit ihrem Sound. Obwohl auch Hovvdy ausproduziert und professionell klingt, findet sich dort doch irgendwo wieder dieses wundervolle Gefühl von Zwanglosigkeit, Freundschaft und Komfort. Das Album ist nur knapp kürzer als eine Stunde und besteht aus insgesamt 19 Songs. Was aber in der Theorie nach großen Ambitionen für ein Indie-Album klingt, fühlt sich praktisch doch kaum innovativer oder größer gedacht an als das weniger als halb so lange Debüt der Band – das meine ich als Kompliment. Auch wenn hier und da mal das ein oder andere Klangexperiment durchschimmert – hier eine Drummaschine, dort etwas Auto-Tune, die ein oder andere Annährung an Popgesangsharmonien – ist das eine völlig kleine, umarmende Sammlung an Songs, die sich in der Ruhe deines Schlafzimmers besser ausbreiten können als in den Artikeln avantgardistischer Musikblogs. Man könnte wohl ein Trinkspiel machen, würde man jedes Mal trinken, wenn jemand hier das Wort „Friend“ oder „Light“ oder den Namen eines Familienmitglieds singt.
Das ist natürlich nur halb ernst gemeint, trifft für mich aber doch einen wahren Kern. Hovvdy, das ist für mich auch der Sound, um sich Zeit zu nehmen und den warmen Glanz einer über Raum und Zeit gepflegten Freundschaft oder Beziehung wirklich zu genießen. Es gibt ja oft noch diese ewiggestrige Sicht, dass Musik umso mehr künstlerische Tiefe besitzt, desto anstrengender sie zu hören ist und umso düsterer und depressiver sie in ihren Texten daher kommt. Ich hingegen glaube, dass es nur eine Handvoll Bands gibt, die einen so entspannt gluckernden, wohlklingenden und dabei doch super interessanten Song schreiben könnten wie „Bad News„.
Cola live
Nachdem in Hannover für einige Zeit ein wenig Flaute herrschte, was für mich interessante Konzerte angeht, und ich stets den Weg nach Hamburg auf mich nehmen musste, um das zu sehen, was gerade hot und interessant ist, scheint dieses Winterloch nun vorbei zu sein. Am Mittwoch war ich im Café Glocksee, um Cola zu sehen, und die Vorzeichen waren denkbar gut. Es war der Mittwochabend vor einem Feiertag, die Sonne schien, und es war das erste Konzert hier in Hannover und in der Glocksee für meine Freundin, mit der ich heute unterwegs war. Wir haben wie paar Gehminuten also zeitig auf uns genommen, um noch ein wenig im Innenhof der Glocksee zu sitzen und entspannt etwas zu trinken, bevor es losgehen sollte. Allgemein ist die Glocksee vermutlich mein liebster Konzertclub in Deutschland – und ich habe schon einige gesehen. Man ist direkt am Flussufer, es gibt einen wunderschönen Graffiti-besprenkelten Innenhof mit Bänken, Bäumen und einer Halfpipe, alles in allem also ein Ort, an dem ich auch gerne rumhänge, wenn gerade kein Konzert stattfindet. Heute wurde vor der Show wohl auch der vegane Grill angeschmissen. Wunderbar, auch wenn ich selbst gerade keinen Bedarf hatte. Der Club selbst ist ebenfalls fantastisch. Die Bühne ist halbhoch, es gibt keine Absperrung, und man kann im Grunde von überall gut sehen.
Abgesehen davon gehe ich aber vor allem gerne in die Glocksee, weil das Publikum so gut wie immer absolut angenehm ist. Zwar sind die Leute nicht so abgeklärt kennerhaft wie in Hamburg oder Berlin, aber dafür durch und durch begeisterungsfähig. Es ist eben immer noch Hannover, und da ist es immer etwas Besonderes, wenn eine Indie-Rock-Band aus Kanada zu Besuch kommt, und man freut sich merklich und ist dankbar. Bei vielen Konzerten in der Glocksee kennen Teile des Publikums vorher die Acts nicht wirklich, aber nach spätestens zwei, drei Songs sind alle euphorisiert und tanzen vor der Bühne. Nirgendwo habe ich so viele tatsächlich ungeplante Zugaben gesehen wie hier, einfach weil die Leute keine Ruhe gegeben haben. Man erlebt also meistens echt gute Abende dort, egal was spielt. Selbst bei Cola, einer Band, die nach minutenlangen Anforderungen seitens des Publikums verlauten ließ, dass man grundsätzlich niemals Zugaben spiele, sei man nach Auskunft von Sänger und Gitarrist Tim Darcy „heute wirklich knapp davor gewesen“.
Cola kommen aus Quebec, Kanada, und spielen im Wesentlichen post-punk-beeinflussten Indie-Rock, also grundsätzlich Musik, die in den letzten Jahren wieder stark an Popularität gewonnen hat. Idles verkaufen Mehrzweckhallen aus, Fontaines D.C. spielen auf den Hauptbühnen von Major-Festivals, und Ants From Up There von Black Country, New Road, ist eines der am besten bewerteten Alben auf der Musikschwarmintelligenzwebsite RateYourMusic – und zwar aller Zeiten. Gemeinsam haben die genannten Bands und auch die meisten artverwandten Acts der Gegenwart, dass ich ihnen meist nur wenig abgewinnen kann. Es gibt zwar hier und da vereinzelt mal Songs, die ich mag, aber meistens löst das alles nur Achselzucken aus. Mein letzter Versuch, mich mit dieser Szene zu versöhnen, war 2022 beim Primavera Sound, als ich mir die erwähnten und gerade ziemlich gehypten Fontaines D.C. angesehen habe. Um mich herum baute sich im Publikum die unangenehme Atmosphäre betrunkener Britishness auf, die Musik war uninteressant, und der Sänger inszenierte sich als peinlich-machohafte Liam Gallagher-Imitation auf der Bühne. Die Versöhnung fiel aus. Dass ich mich nun trotz dieser generellen Antipathie sehr auf den heutigen Abend gefreut hatte, lag, das muss ich zugeben, noch mehr an Ought, der Band, deren kreatives Zentrum Sänger und Gitarrist Tim Darcy und Bassist Ben Stidworthy waren, als an Cola selbst.
Ought waren für mich eine der quintessenziellen und besten Gitarrenbands der 2010er-Jahre. Auch wenn da immer die Schuldmünze auf The Fall ausgestellt werden musste, besonders beim stark von Mark E. Smith inspirierten lakonisch-monotonen Gesang Darcys, klangen Ought doch ganz und gar einzigartig. Es war diese Mischung aus ausschweifenden, mit Gitarren- und Synth-Klängen gesprenkelten, pluckernden Songs, die oft die 5-Minuten-Marke überschritten, gepaart mit Darcys lakonisch vorgetragenen, wie aus dem Ärmel geschüttelt wirkenden Gefühlsanalysen einer Gegenwart, in der der Mensch allzeitverbunden mit allem und jedem ist und doch gleichzeitig immer einsamer, die Ought zu einer meiner Lieblingsbands machen. Ich habe sie nur einmal live sehen können, 2015 beim Dockville Festival in Hamburg, doch an die Performance von „Beautiful Blue Sky“, ihrem besten Song und vermutlich einem der zehn besten Songs der Dekade, denke ich noch öfters. 2021 haben Ought ihre Auflösung bekannt gegeben, und noch am gleichen Tag riefen Darcy und Stidworthy Cola aus und veröffentlichten „Blank Curtain“, die Lead-Single zu Deep in View, dem Debütalbum, das kurze Zeit später veröffentlicht werden sollte.
Cola klingen klar wie die spirituellen Nachfolger von Ought, unterscheiden sich aber doch merklich. Die Songs sind kürzer und weniger mäandernd, es gibt nun klassische Refrains, und Tim Darcys Gesang ist deutlich kompakter und weniger ausfransend als es noch bei Songs wie „Habit“ der Fall war. Ich mag Deep in View sehr gerne, die emotionale Höhe von Oughts More Than Any Other Day oder Sun Coming Down erreicht es aber nicht. Die Single „Bitter Melon“ vom im Juni erscheinenden Album hingegen hat mich auf Anhieb direkt gecatcht. Über sechs Minuten lang schleichen sich Darcy Gitarre und Stimme gemein-sam durch das subtil vor sich hin tuckernde Rhythmusgerüst des Songs. Das klingt nicht direkt wie Ought, aber auf andere Art ganz fantastisch. „Bitter Melon“ war auch live für mich das Highlight heute.
Die Glocksee war gut gefüllt heute, aber nicht so voll, dass man nicht tanzen konnte. Und es wurde getanzt. Anders als die Songs von Ought bieten sich die kompakteren, teilweise sogar mit Hooks versehenen Songs von Cola auch für Bewegung an. Spätestens als nach 20 Minuten der Refrain von „At Pace“ ertönte, am ehesten das, was man einen Hit nennen könnte bei einer Band, die eigentlich keine Hits schreibt, war der Raum gewonnen. Die Hälfte des Sets bestand aus Songs vom kommenden Album – und das, was ich gehört habe, versetzt mich in Vorfreude. Tim Darcys Bühnenpräsenz, die schüchtern und absolut einnehmend zugleich wirkt, hypnotisierte die Menschen um mich herum, es gab kaum Ansagen, der Drummer war in Trance, ein Song nach dem nächsten wurde gespielt. Nach ungefähr einer Stunde war Schluss. Es war fantastisch.